Rasse

DAS RHEINISCH-DEUTSCHE KALTBLUTPFERD

Geschichte

Das belgische Zugpferd (Cheval de trait belge) mit seiner kleineren Ausführung, dem Ardenner (Cheval de trait ardennais), ist die Ausgangsrasse des Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferdes.

Im heutigen Belgien gab es bereits im 18. Jahrhundert regionale Kaltblutschläge, die züchterisch bearbeitet und offiziell im Jahr 1885/86 zum belgischen Zugpferd vereinigt wurden.

Ab etwa 1850 begann die Modernisierung der bis dahin arg rückständigen deutschen Landwirtschaft. Die damit verbundene intensive Bodenbearbeitung und der durch schnell voranschreitende Industrialisierung expandierende Gütertransport verlangten nach effektiver Zugkraft. Einzige Lösung für die damalige Zeit: schwere Arbeitspferde, sprich: Kaltblüter, die es in Deutschland nicht gab. Es begannen umfangreiche Importe von Gebrauchs- und auch Zugpferden der verschiedenen europäischen Kaltblutrassen.

In der preußischen Rheinprovinz machten die Landwirte schon frühzeitig positive Erfahrungen mit dem Einsatz von belgischen Zugpferden als Arbeits- und Zuchttiere (Rheinzucht, Verdrängungskreuzung mit einheimischen Landschlägen).

1876 wurde Rheinpreußen auf Drängen der Landwirte zur Kaltblutprovinz erklärt, wobei schließlich die Zucht eines schweren Arbeitspferdes auf belgischer Grundlage Ziel gebend wurde.

Die staatliche Gestütsverwaltung kam nicht umhin, den Züchterwünschen zu entsprechen: ab 1893 wurden für das Landgestüt Wickrath nur noch belgische und rheinisch-belgische Hengste remontiert. Da die Zahl belgischer und belgisch geprägter Zuchtpferde stetig zunahm, ergab sich die Notwendigkeit, einen für die gesamt Provinz zuständigen Zuchtverband nach belgischem Vorbild zu gründen.

1892 wurde das Rheinische Pferdestammbuch, Sitz Wickrath, aus der Taufe gehoben. Wichtigste Aufgabe des neuen Verbandes war die Einrichtung und korrekte Führung eines Stutbuches, elementare Voraussetzung für effektive Zuchtarbeit.

Verbindliches Zuchtziel für die gesamte Rheinprovinz war "...ein kräftiges, gut gebautes, tiefes Pferd kaltblütigen Schlages mit starken Knochen und freien Bewegungen – das Rheinische Pferd".

Nicht nur im Rheinland, sondern auch in vielen anderen Provinzen und Ländern des Deutschen Reiches etablierte sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kaltblutzucht. Aufgrund der positiven Erfahrungen setzte sich die belgische, bzw. Rheinisch-belgische Zuchtrichtung immer stärker durch, wurde schließlich ab etwa 1910/20 dominierend.

1904 wurde das westfälische Pferdestammbuch gegründet. Da man in der Provinz Westfalen sowohl Kalt- als auch Warmblut züchtete, wurden im Stutbuch zwei gleichberechtigte Abteilungen eingerichtet.

Der für Provinz Sachsen im Jahre 1899 gegründete Zuchtverband, ab 1912 unter dem Signum "Pferdezuchtverband der Provinz Sachsen" firmierend, betreute zunächst sowohl die englische (Shires, Clydesdales) als auch die belgische, bzw. rheinisch-belgische Zuchtrichtung. Die englische Periode endete 1920 mit dem Ausscheiden des letzten Shire-Hengstes im Jahr 1919.

Ohne die vielfachen Verdienste der übrigen Zuchtgebiete schmälern zu wollen, Ton angebend in der Zucht des ab 1920 als "Rheinisch-Deutsch" bezeichneten Kaltblutpferdes waren die drei preußischen Provinzen Rheinland, Westfalen und Sachsen (einschließlich Anhalt). Die firmierten unter der Bezeichnung "alte Zuchtgebiete", während die übrigen, unabhängig vom Alter ihrer Kaltblutzuchten, kategorisch als "junge" Zuchtgebiete bezeichnet wurden.

Bezeichnend ist, dass keine Hengste aus den jungen Zuchtgebieten in den Hengstdepots Wickrath (Rhld.), Warendorf (Westf.) oder Krenz (Sachsen) eingestellt wurden.

Dank züchterischer Auslese und gezielter Fördermaßnahmen verbesserte sich die Qualität des Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferdes innerhalb weniger Generationen. Maßgeblichen Anteil daran hatten mehr oder weniger gezielte Importe wertvoller Zuchtpferde aus dem belgischen Mutterland. Insbesondere der Ankauf bedeutender Hengste durch private Züchter und die staatliche Gestütsverwaltung verbesserten das Niveau der Zucht enorm.

Ab etwa 1920 kann das Rheinisch-Deutsche Kaltblut als eigenständige Rasse bezeichnet werden. Importe von belgischen Zuchtstuten unterblieben weitgehend. Auf die Einfuhr belgischer Zuchthengste wurde nicht gänzlich verzichtet., wobei sehr hohe Anforderungen an die Qualität der Hengste gestellt wurden.

Wirtschaftlich-politische Rahmenbedingungen (Zolltarife, Meistbegünstigungsklausel) sorgten für Masseneinfuhren von Gebrauchspferden aus Belgien, Dänemark und andren Ländern.

Die dadurch verminderten Absatzchancen für einheimische Arbeitspferde hatten negative Auswirkungen auf das Zuchtgeschehen, die Bedeckungen stagnierten, bzw. waren rückläufig. Mit Beginn der Nazi-Herrschaft kam ein Umschwung. Offensichtlich schöpften die Landwirte aus den Wirtschaftsversprechungen der "Blut-und-Boden-Ideologie" des Regimes neue Hoffnung. Die Kaltblutzucht erhielt neuen Schwung, überflügelte die Warmblutzucht sogar deutlich.

Das goldene Zeitalter der kaltblütigen Arbeitspferde währte in Europa etwa 7 Jahrzehnte (1880 bis 1950). der hohe Zugkraftbedarf in Landwirtschaft und Transportwesen konnte nur durch Arbeitspferde gedeckt werden. Konkret auf Deutschland bezogen bestanden folgende Konstellationen:

  • vor dem ersten Weltkrieg existierten kaum LKWs, mit landwirtschaftlichen Traktoren wurde allenfalls experimentiert.
  • Während der Weimarer Republik stieg zwar die Anzahl der LKWs allmählich, die wirtschaftliche Lage (Situation) der Landwirtschaft verhinderte die Verdrängung des Arbeitspferdes durch den Traktor.
  • Die zivile Nutzung des Explosionsmotors in Landwirtschaft und Gewerbe wurde durch die militärisch ausgerichtete Produktion des "Dritten Reiches" weitgehend unterbunden.
  • Die Vorrangstellung des Arbeitspferdes war ungefährdet, erstarkte noch enorm in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg.
  • Mit der Währungsreform 1948, der Gründung der Bundesrepublik und dem rasch einsetzenden "Wirtschaftswunder" nahm das Zeitalter des Zugpferdes ein schnelles Ende.
  • In Deutschland begann eine rasante Motorisierung der Landwirtschaft, ausgelöst durch politische und wirtschaftliche Vorgaben.

Das Rheinisch-Deutsche Kaltblutpferd, die kurz zuvor noch mit weitem Abstand bedeutendste Rasse, verkam innerhalb weniger Jahre zu einer fast verachteten Randgruppe.

Um 1970 hatten die Bestandszahlen in der Bundesrepublik ein absolutes Tief erreicht. Nur der Passion einiger hartnäckiger Züchter und Nutzer ist das Überleben der westdeutschen Population zu verdanken; diesbezüglich Kompliment an Westfalen und Niedersachsen.

In der ebenfalls 1949 gegründeten DDR verlief der Niedergang der Rheinisch-Deutschen Zucht nicht im selben Tempo wie im Westen. Dennoch führte die (später einsetzende) Motorisierung zu einem besorgniserregenden Rückgang der Bestandszahlen. Die sog. Energiekrise 1973/74 führte zur vermehrten Verwendung von Kaltblütern in der Forstwirtschaft, bremste somit den Niedergang der Zucht. Bei dennoch sehr geringen Bestandszahlen besaß die Kaltblutzucht der DDR ein beachtlich hohes Niveau. Insbesondere die Altmark und die heutigen Freistaaten Sachsen und Thüringen zeichneten sich durch qualitätvolle Rheinisch-Deutsche aus.

Nach dem absoluten Tief der westdeutschen Zucht stiegen ab 1980 die Bestandszahlen bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung spürbar an. Die unblutige Revolution 1989 und die Vereinigung beider deutscher Staaten war eine einmalige Chance für die Zucht des Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferdes. Zwischen zwei über vier Jahrzehnte weitestgehend getrennten Teilpopulationen konnten wieder Zuchttiere ausgetauscht werden: praktizierter Genaustausch, welcher der gesamten Zucht neue Impulse gab und zur Qualitätssteigerung führte. Bezüglich Zucht und Züchterschaft gilt: es wächst (allmählich) zusammen, was zusammengehört.

 

Hengstlinien

Zu Beginn der organisierten Kaltblutzucht gab es eine Vielzahl von Hengstlinien. Es sei dahingestellt, ob es sich hierbei immer um eigenständige, d.h. nicht miteinander verwandte Linien handelte. Wegen der vor 1885 oft unzureichenden Abstammungsnachweise kann man keine sichere Aussage machen.

Analog zur Vollblutzucht verringerte sich die Zahl der aufgeführten Hengstlinien innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. Gegenwärtig existiert nur noch eine einzige Hengstlinie, die sich allerdings in zahlreiche Nebenlinien und Zweige aufgeteilt hat.

Die heute im Deckeinsatz stehenden belgischen Hengste und nahezu alle Rheinisch-Deutschen Hengste gehen in männlichen Linie auf den 1863 geborenen Orange I 1114 zurück, dessen männliche Vorfahren sich bis zu einem 1827 geborenen Hengst zurück verfolgen lassen. Orange I hatte zahlreiche Nachkommen, die selbst wieder Linienbegründer wurden. Allerdings überlebten nur zwei Linien bis heute. Boucan I, B.S. 1160 II, geb. 1884, ist nach offizieller Darlegungen Urahne des überragenden Lothar III 651 (in Belgien eingetragen als Croix B.S. 23/7224). Dieser 1916 in Belgien geborene Fuchsschimmel war nur im Rheinland im Deckeinsatz, beeinflusste aber über seine überaus reiche Nachkommenschaft die gesamt Zucht des Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferdes nachhaltig. Derzeit sind noch zwei Hengste der Lothar III-Linie als Beschäler und Arbeitspferde im Einsatz (Wittgensteiner Land/Westfalen).

Der Orange I-Nachkomme Jupiter 126, ein 1880 geborener Fuchs, ist Vater des Hengstes Brin d`0r B.S. 7902, braun, geboren 1893.

Zwei der zahlreichen Söhne des Brin d´or begründeten heute noch existierende Linien:

a) Bloc B.S. 13886, braun, geboren 1897

b) Indigène du Fosteau, B.S. 29718, Fuchs, geboren 1902

Indigène du Fosteau wurde züchterisch sehr stark genutzt. Rückblickend kann er als "Drehscheibe" der belgischen und damit der Rheinisch-Deutschen Zucht bezeichnet werden. Anmerkung: Nach Ansicht ernst zu nehmender Kritiker geht Lothar der III. auf Indigène, so dass sich die Orange I-Linie erst über Jupiter – Brin d´or aufteilt.

Der bedeutendste Nachkommen des Indigène du Fosteau wurde Conquerant de Terhagen B.S. 69900, braun, geboren 1909. Sein 1916 geborener Sohn Albion d´Hor, B.S. 23/1892, ein reinerbiger Braunschimmel, war der absolute Stempelhengst der belgischen und deutschen Zucht. Der klassische Kaltblüter – grobknochig, üppig bemuskelt mit enormer Gurtentiefe, gutem Gangvermögen und bei aller Masse genügend Adel – ist das "Werk" des Jahrhunderthengstes Albion d`Hor. Nachkommen dieses wirklichen Ausnahmehengstes haben in allen deutschen Zuchtgebieten nachhaltig gewirkt.

Der 1958 in Westfalen geborene Hengst Halbmesser, 4373 Pr.H., geht in die siebte Generation unter Umgehung von Albion d´ Hor auf Indigène du Fosteau zurück. Halbmesser ist Begründer der aktuellen H-Linie der Rheinisch-Deutschen Zucht.

Der amerikanische Belgier C.F. Antigon, Fuchs, geboren 1994, der in Niedersachsen zur Zucht verwendet wurde, führt über Albion d´Hor zum Linienbegründer Orange I.

Ob der Schweden-Ardenner Torol 4319, Fuchs, geboren 1955, Linienbegründer in Westfalen, und der derzeit zur Zucht eingesetzte Schweden-Ardenner-Hengst Weils Bosen, Fuchs, geboren 1998 ebenfalls der Orange I-Linie angehören, wäre eine Untersuchung wert.

Grundsätzlich gilt: alle genealogischen Wege führen zu Orange I.

 

Farbe

Die Rheinisch-Deutsche Zucht ist verhältnismäßig bunt im Gegensatz zu einigen anderen Kaltblutrassen mit eindeutiger Farbpräferenz.

Folgende Körperfarben existieren beim Rheinisch-Deutschen: Brauner, Fuchs und Rappe sowie Braun-, Fuchs- und Rappschimmel. Diese Schimmel sind keine echten Schimmel (Altersschimmel), da ihre Farbe zeitlebens gleichbleibt. (Roan-Faktor), wenn auch mit saisonalen Schwankungen.

Rappen, die in manchen Zuchtgebieten so wenig beliebt sind, dass sie als Dunkelbraune eingetragen werden, gab es immer in der Zucht des Belgiers und des Rheinisch-Deutschen, wenn auch nur in geringer Zahl.

Pferdefarben sind modischen Strömungen unterworfen, was unbedenklich ist, solange daraus kein Dogma entsteht.

Jedenfalls sollte gerade beim Rheinisch-Deutschen mit seiner breiten Farbpalette weiterhin gelten: "Ein gutes Pferd hat keine Farbe!"

 

Eigenschaften des modernen Rheinisch-Deutschen

Das klassische Arbeitspferd ist Vergangenheit. Im Idealfall ist der heutige Rheinisch-Deutsche ein Vielseitigkeitspferd, das eine Vielzahl von Funktionen ausführt:

  • Arbeitspferd in Forst- und Landwirtschaft und vor dem Planwagen
  • Freizeitpferd im Geschirr und unter dem Sattel
  • Pferd für nationale und internationale Wettbewerbe (Fahrsport inklusive Distanzfahren, Pflüge- und Holzrückwettbewerbe)

Es gibt Pferde, die in all diese Bereiche erfolgreich eingesetzt werden können. Diese "multi-purpose"-Pferde entsprechen nicht mehr dem klassischen Kaltblutpferd vergangener Zeiten. Sie sind leichter und eleganter als die typischen "Brauerei-Gäule". Aber trotz einer nutzungsbedingten Modernisierung muss weiterhin gelten: der Kaltbluttyp muss beim Rheinisch-Deutschen gewahrt bleiben. Selbst der hippologische Laie muss unbedingt erkennen können: das ist ein Kaltblutpferd!

Auf eine kurze Formel gebracht: "Genügend Masse mit Adel und Schwung!" Züchterisch ist bezüglich Masse, Körpergröße (Stockmaß), Gurtentiefe und Röhrbeinumfang ausreichend Variationsbreite vorzuhalten.

Hinsichtlich des Charakters verbieten sich Konzessionen. Das Rheinisch-Deutsche Kaltblutpferd muss in dieser Hinsicht einwandfrei sein: Arbeitswilligkeit, ausgeglichenes Temperament und Nervenstärke in heiklen Situationen sind sein eigentliches Kapital. Diesbezüglich Konzessionen zu machen wäre fatal, denn 800 Kilogramm nicht beherrschbare Pferdestärken sind Desaster pur.

Einwandfreier Charakter und möglichst korrektes Exterieur in Verbindung mit gutem Bewegungsablauf müssen auch zukünftig die bestimmenden Faktoren in der Zucht des Rheinisch-Deutschen bleiben.

Quelle: Dr. R. Scharnhölz